Zwangsstörung (OCD) – Wenn Gedanken und Rituale das Leben bestimmen
- Dr. Wolfgang Avituv
- 23. März
- 3 Min. Lesezeit
Immer wieder die Hände waschen. Kontrollieren, ob der Herd wirklich aus ist. Gedanken, die sich aufdrängen und einfach nicht verschwinden. Zwangsstörungen sind eine der quälendsten psychischen Erkrankungen – nicht wegen der Schwere ihrer Symptome allein, sondern weil sie Betroffene oft in einen Kreislauf aus Angst, Zweifeln und ritualisiertem Verhalten führen.
In meiner psychologischen Praxis begegnen mir immer wieder Menschen, die jahrelang unter Zwängen litten, oft ohne überhaupt zu wissen, dass es sich um eine behandlungsbedürftige Erkrankung handelt. Dabei sind Zwangsstörungen gut behandelbar, insbesondere mit kognitiver Verhaltenstherapie (KVT).
Was ist eine Zwangsstörung?
Die Zwangsstörung (im Englischen „Obsessive-Compulsive Disorder“, kurz: OCD) ist eine psychische Erkrankung, bei der sich Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen aufdrängen und als belastend erlebt werden.
Zwangsgedanken sind wiederkehrende, aufdringliche Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die als ungewollt, übertrieben oder sinnlos erlebt werden, z. B.:„Was, wenn ich jemanden verletze?“, „Habe ich wirklich niemanden angefahren?“, „Bin ich vielleicht ein schlechter Mensch?“
Zwangshandlungen sind sich wiederholende Verhaltensweisen (z. B. Waschen, Kontrollieren, Zählen), die ausgeführt werden, um die Angst oder das unangenehme Gefühl, das durch die Gedanken entsteht, zu reduzieren.
Betroffene wissen in der Regel, dass ihre Gedanken oder Handlungen übertrieben oder irrational sind – und genau das macht die Störung noch belastender.
Typische Formen von Zwängen:
Kontrollzwänge: Mehrfaches Überprüfen von Türen, Herdplatten, Elektrogeräten
Wasch- und Reinigungszwänge: Übermäßiges Waschen aus Angst vor Keimen oder Ansteckung
Ordnungs- und Symmetriezwänge: Alles muss „genau richtig“ sein oder in perfekter Reihenfolge
Zählzwänge: Dinge müssen eine bestimmte Anzahl erreichen, um „sicher“ zu sein
Zwangsgedanken mit aggressivem, sexuellem oder religiösem Inhalt: Oft mit Scham oder Schuldgefühlen verbunden
Psychologische Erklärung – Warum entstehen Zwangsstörungen?
Zwangsstörungen entstehen meist aus einer Interaktion von biologischer Veranlagung, psychischer Anfälligkeit und Lernerfahrungen. Eine zentrale Rolle spielt die intolerante Haltung gegenüber Unsicherheit („Ich muss 100 % sicher sein, sonst passiert etwas Schlimmes“) und die fehlgeleitete Bedeutung, die Gedanken erhalten („Wenn ich das denke, muss es stimmen oder wahr sein“).
In der Kognitiven Verhaltenstherapie gehen wir davon aus, dass Zwangsgedanken nicht das Problem selbst sind, sondern wie wir sie bewerten und darauf reagieren. Wer einem aufdringlichen Gedanken große Bedeutung beimisst und versucht, ihn zu unterdrücken oder zu neutralisieren (z. B. durch Zwangshandlungen), verstärkt diesen Teufelskreis ungewollt.
Behandlung mit Kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) – der Weg aus dem Zwang
Die KVT ist die nachweislich wirksamste Methode zur Behandlung von Zwangsstörungen. Sie umfasst unter anderem:
1. Psychoedukation:
Verständnis für die Funktionsweise von Zwängen entwickeln, um Angst und Scham zu reduzieren.
2. Kognitive Umstrukturierung:
Zwangsgedanken werden identifiziert, hinterfragt und durch alternative, realistischere Denkweisen ersetzt.
3. Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP):
Der zentrale Baustein der Zwangsbehandlung: Gezielte Konfrontation mit auslösenden Situationen oder Gedanken – ohne das gewohnte Zwangsverhalten auszuführen. So lernt das Gehirn, dass nichts Schlimmes passiert, auch wenn der Zwang nicht ausgeführt wird.
4. Verhaltensexperimente und Selbstbeobachtung:
Systematisches Erforschen, was wirklich geschieht, wenn man dem Zwang nicht nachgibt.
5. Stärkung von Selbstwirksamkeit und Lebensqualität:
Der Fokus liegt nicht nur auf dem Symptom, sondern auf dem Menschen dahinter: Was wurde durch den Zwang verdrängt, blockiert oder verhindert? Welche Ziele, Freiheiten und Beziehungen wurden eingeschränkt?
Wichtig: Zwänge sind keine Charakterfrage
Viele Betroffene schämen sich für ihre Symptome und vermeiden es, darüber zu sprechen. Dabei sind Zwangsstörungen keine persönliche Schwäche, sondern eine neurobiologisch fundierte Störung, die häufig in jungen Jahren beginnt und chronisch verlaufen kann, wenn sie nicht behandelt wird. Frühzeitige, strukturierte psychologische Hilfe kann den Verlauf entscheidend beeinflussen.
Weiterführende Informationen und Selbsthilfe:
Die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. bietet fundierte Informationen, Erfahrungsberichte und Hilfsangebote:🔗 https://www.zwaenge.de
Fazit
Zwangsstörungen sind quälend, aber behandelbar. Die Kognitive Verhaltenstherapie bietet konkrete und wirkungsvolle Methoden, um sich Schritt für Schritt aus der Zwangsspirale zu befreien. Wenn Sie oder jemand in Ihrem Umfeld unter Zwängen leidet – sprechen Sie darüber. Es gibt Hilfe.
Klinischer Psychologe in Thalgau, Salzburg Umgebung
✔ Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) & REVT
✔ Spezialisierung auf Zwangsstörungen, Angst und Trauma
✔ Therapie auf Deutsch & Englisch – online oder vor Ort
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