Persönlichkeitsstörungen – Wenn Muster zur Belastung werden
- Dr. Wolfgang Avituv
- 23. März
- 3 Min. Lesezeit
Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Manche sind sensibler, andere impulsiver oder kontrollbedürftiger. Doch was passiert, wenn bestimmte Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster so starr und ausgeprägt sind, dass sie das Leben der Betroffenen – und ihres Umfelds – dauerhaft belasten? In solchen Fällen sprechen wir von Persönlichkeitsstörungen.
Persönlichkeitsstörungen zählen zu den komplexesten psychischen Erkrankungen. Sie beginnen meist in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter und betreffen tief verankerte Verhaltensmuster, die sich über viele Jahre hinweg gefestigt haben. Die gute Nachricht: Mit der richtigen psychologischen Begleitung – insbesondere durch Kognitive Verhaltenstherapie – ist nachhaltige Veränderung möglich.
Was ist eine Persönlichkeitsstörung?
Laut ICD-11 liegt eine Persönlichkeitsstörung vor, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale:
andauernd und unflexibel auftreten
in vielen Lebensbereichen spürbar sind (Arbeit, Beziehungen, Selbstbild etc.)
zu deutlichem persönlichem Leidensdruck oder sozialen Schwierigkeiten führen
nicht nur kurzfristig (z. B. durch Stress) auftreten
bereits im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter beginnen
Betroffene erleben sich oft als „anders“ oder „nicht kompatibel mit der Welt“, fühlen sich missverstanden, instabil oder zerrissen – und können dennoch selten selbst die Ursache ihrer Schwierigkeiten erkennen.
Welche Formen von Persönlichkeitsstörungen gibt es?
Die ICD-11 unterscheidet Persönlichkeitsstörungen nicht mehr nach festen Typen wie in der ICD-10 (z. B. Borderline, narzisstisch, paranoid), sondern beschreibt sie dimensional, je nach Ausprägung und Schweregrad. Dennoch sind bestimmte Muster besonders bekannt:
Häufige Persönlichkeitsstile:
Borderline-Persönlichkeitsstörung: starke emotionale Schwankungen, instabile Beziehungen, Impulsivität, Selbstverletzungen
Narzisstische Persönlichkeit: überhöhtes Selbstbild, starke Empfindlichkeit gegenüber Kritik, Bedürfnis nach Bewunderung
Dependente (abhängige) Persönlichkeit: übermäßige Bedürftigkeit, Angst vor Alleinsein oder Entscheidungen
Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeit: starke soziale Ängste, Rückzug, negative Selbstwahrnehmung
Zwanghafte Persönlichkeit: Perfektionismus, starre Denkweise, Kontrollbedürfnis, Detailverliebtheit
Jede Persönlichkeitsstörung ist einzigartig und darf nicht mit der Persönlichkeit als Ganzes verwechselt werden. Es handelt sich nicht um „Charakterfehler“, sondern um verfestigte psychische Muster, die oft auf frühen Erfahrungen beruhen.
Psychologische Erklärung: Warum entstehen Persönlichkeitsstörungen?
Die Ursachen sind multifaktoriell:
Frühe Bindungserfahrungen: z. B. inkonsistente Zuwendung, emotionaler Missbrauch, Traumata oder mangelnde Spiegelung
Lernprozesse: durch Elternmodell, emotionale Vernachlässigung oder übermäßige Kontrolle
Biologische Faktoren: z. B. emotionale Reaktivität, Impulsivität, genetische Einflüsse
Ungünstige Lebensereignisse in der Kindheit oder Jugend
Diese Faktoren führen zur Entwicklung bestimmter Grundannahmen über sich selbst, andere Menschen und die Welt – z. B. „Ich bin wertlos“, „Ich werde immer verlassen“, „Ich darf keine Fehler machen“. Diese Grundüberzeugungen bleiben meist unbewusst, beeinflussen aber stark, wie man denkt, fühlt, handelt – und auf andere reagiert.
Wie kann Kognitive Verhaltenstherapie helfen?
Persönlichkeitsstörungen lassen sich nicht „heilen“ wie eine Infektion – aber sie lassen sich nachhaltig verändern, wenn der/die Betroffene bereit ist, sich mit den eigenen Mustern auseinanderzusetzen. In der KVT arbeiten wir gemeinsam an:
1. Selbstbeobachtung und Psychoedukation
Erkennen und verstehen der eigenen Verhaltens- und Beziehungsmuster.
2. Identifikation dysfunktionaler Schemata und Denkstile
Hinterfragen automatischer Gedanken, überzogener Standards, negativer Selbstbilder.
3. Kognitive Umstrukturierung und Reframing
Entwicklung neuer Perspektiven, realistischer Selbstbewertungen und Beziehungsmodelle.
4. Verhaltensübungen & Rollenspiele
Neue Verhaltensweisen werden praktisch eingeübt – z. B. klare Kommunikation, Grenzen setzen, Rückmeldungen annehmen.
5. Emotionsregulation & Achtsamkeit
Strategien zur besseren Steuerung von Wut, Angst, Scham oder Leeregefühlen.
6. Langfristige Beziehungsarbeit
Therapie bietet oft die erste verlässliche Beziehungserfahrung – diese wird genutzt, um neue Beziehungs- und Bindungsmuster aufzubauen.
In schwereren Fällen oder bei sehr instabiler Affektregulation kann auch Schematherapie oder dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) zum Einsatz kommen.
Wann ist psychologische Hilfe sinnvoll?
Wenn Sie merken, dass bestimmte wiederkehrende Beziehungsmuster, starke emotionale Schwankungen oder selbstschädigende Verhaltensweisen Ihre Lebensqualität einschränken, ist es sinnvoll, Hilfe zu suchen. Besonders bei Persönlichkeitsstörungen ist es wichtig, sich selbst in einem sicheren therapeutischen Rahmen zu reflektieren, um neue Wege zu entdecken – jenseits von alten Schutzmechanismen.
Weiterführende Informationen:
Die MedUni Wien bietet umfangreiche Informationen zu psychiatrischen Störungsbildern, u. a. auch zu Persönlichkeitsstörungen.
Empfohlene Plattform für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen https://www.promenteaustria.at
Persönlichkeitsstörungen bedeuten nicht, dass man „kaputt“ ist – sondern dass bestimmte Muster so stark geworden sind, dass sie nicht mehr hilfreich sind. In der psychologischen Therapie geht es darum, diese Muster zu verstehen, zu hinterfragen und neue Handlungsspielräume zu entwickeln. Veränderung ist möglich – mit Geduld, Klarheit und einer professionellen Begleitung.
Dr. Wolfgang R. Avituv, BSc, M.A. Klinischer Psychologe in Thalgau, Salzburg Umgebung
✔ Spezialisiert auf Persönlichkeitsstörungen, Schemata, Emotionsregulation
✔ Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), REVT, achtsamkeitsbasierte Verfahren
✔ Deutsch & Englisch – individuell, strukturiert, einfühlsam
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